Rede zum Haushalt des Kreises Warendorf 2017

Stephan Schulte

Herr Landrat, meine Damen, meine Herren,

das ablaufende Jahr hat in Europa ein mich wahrhaft erschreckendes Erstarken des populistischen Nationalismus gezeigt. Man muss sich fragen, was in den Bildungssystemen so falsch angelegt ist, dass Tendenzen, die wir hier vor gut 100 Jahren erkennen mussten, wieder zu gewichtigen Faktoren werden konnten.

 

Ob Heinz-Christian Strache und Norbert Hofer, in Österreich, Geert Wilders in den Niederlanden, Beata Szydło und Jaroslaw Kaczynski in Polen, Viktor Orbán in Ungarn, Marine Le Pen in Frankreich und die AfD mit ihren zerstrittenen Protagonisten hier in der Bundesrepublik, sie alle wollen uns in eine längst überwunden geglaubte Denkungsart zurückbefördern. Der Nationalstaat soll es richten. Auf der anderen Seite des großen Teichs - Stichwort "America first" - sieht es zur Zeit nicht besser aus.

Wie ist es nur möglich, dass Leute wie Nigel Farage und Boris Johnson so viele Menschen in Großbritannien davon überzeugen konnten, der EU den Rücken kehren, bedenkt man die Folgen, die allein das Abstimmungsergebnis schon hervorgebracht hat und was der tatsächliche Ausstieg noch bedeuten wird.

 

Nun ist die EU in ihrer heutigen Verfasstheit und Verfassung sicher für viele Menschen kaum attraktiv, insbesondere beim Blick auf ihre wenig demokratisch anmutenden Entscheidungsmechanismen.

 

Ob Kommission oder Ministerrat besonders transparent wirken die Entscheidungsprozesse nun wirklich nicht. Das EU-Parlament mit seinen doch recht überschaubaren Kompetenzen bleibt für die meisten von uns ebenfalls recht blass. Der EU-GH schafft es in meinen Augen viel zu selten, seine Urteile tatsächlich schlüssig zu begründen.

 

Das institutionelle Europa braucht also dringend neue Ideen und Impulse, soll der Brexit nicht auch andernorts Schule machen. Es wird höchste Zeit, dass Europa von der Politik viel besser erklärt wird.

 

Auch wir hier alle müssen Politik den Menschen offenbar viel, viel besser erklären.

 

Mich hat es über die Maßen gefreut, dass bei der AfD-Demo Mitte Mai in Warendorf bei strahlendem Wetter gerade einmal 40 Menschen Interesse an den zum Teil beinahe aberwitzigen Gedankengängen von Herrn Blex und dem Co-Landesvorsitzenden in NRW Renner zeigten.

Die Gegendemo der Demokraten im Kreis - rund 1.200 Menschen waren trotz sehr kurzfristiger Organisation gekommen - setzte ein überzeugendes Zeichen für Weltoffenheit und Toleranz.

 

Zuerst ist das sicherlich dem Grünen Kreistagsmitglied Hedwig Tarner und Jessica Wessels der Grünen-Chefin im Rat von Warendorf zu danken.

 

Liebe Grüne das war wirklich ganz hervorragende Arbeit - mein Kompliment!

 

Mein Dank aber geht aber auch an all die vielen Vereine, Parteien, Gruppierungen und vor allem Menschen, die sich hierbei eingebracht haben.

 

Die WN schrieb zur Rede Renners: "Das Staatsvolk würde zum ohnmächtigen Zuschauer und zitierte „die werteschaffenden Bürger werden so zu Systemsklaven, die keine Herrschaftsrechte mehr haben und nur noch Funktionspflichten zu erfüllen haben.“"

Und das hören wir ausgerechnet von einer Partei - hier genügt ein Blick in deren Programm - die die Reichen in diesem Lande durch enorme Steuererleichterungen noch viel, viel reicher machen will und sie auch noch von den letzten Fesseln des anständigen Miteinanders befreien will.

 

Wenn sie sich nun fragen, wer die Zeche zum Schluss wird zahlen müssen: Da bleibt nicht viel als die Durchschnittsverdiener wieder zur Kasse zu bitten, denn die Schwächsten haben längst nichts mehr, was man ihnen noch nehmen könnte.

 

Die Partei selbst lässt diese Frage wohlweislich offen.

Herr Landrat, meine Damen meine Herren,

ausgerechnet in Zeiten mit von 0,3 bis 0,5 % historisch niedriger Zinsen, den Schuldenabbau zur Priorität zu erklären Herr Landrat, ist uns und, wie wir Gott sei Dank allenthalben hören, nicht nur uns gänzlich unverständlich.

Statt nun auf den weiteren Ausbau der Wertsicherungsfonds, deren Einlagen garantiert sind, zur Absicherung zukünftiger Pensionsforderungen zu setzen, der aktuell ca. einen jährlichen Wertzuwachs von 3,5 % und über die Jahre seit ihrer Einführung sogar 5,2 % erreicht, bleiben sie bei ihrem Fahrplan.

Sie wollen also, um das hier ganz klar noch einmal auf den Punkt zu bringen, auch im kommenden Haushaltsjahr unterm Strich 30.000,- Euro schlicht verbrennen.

Im letzten Jahr an dieser Stelle nannte ich dieses Tun pflichtwidrig. Und das ist es auch noch in diesem Jahr.

Und dabei könnte man mit Investitionen in Bildung so viel Gutes erreichen, wenn wir bedenken, dass die Armutsquote im Münsterland die 15 Prozent-Marke schon überschritten hat. Im gerade 100 km von hier entfernten Gelsenkirchen wachsen über 38 Prozent der Kinder in Armut auf.

Was ist die Antwort der Bundespolitik?

Die CDU will auf keinen Fall Steuererhöhungen,

die SPD will die höheren Einkommen immer nur vor den Wahlen stärker belasten.

Worauf läuft das bei den chronisch unterfinanzierten Kommunen in NRW hinaus: Noch höhere unsoziale Grundsteuern.

Die zahlt jeder - direkt oder über die Nebenkosten der Miete.

Der Schreck traf mich, als ich den Umgang mit Menschen mit echten Anliegen durch die sogenannte Landratsmehrheit im Sozialausschuss am 24.11. mit ansehen musste.

Vertreterinnen der Vereine Frauen helfen Frauen Beckum und Warendorf waren gekommen, um Unklarheiten über ihre so bitter notwendigen Hilfestellungen für Frauen, die unter anderem häuslicher oder sexualisierter Gewalt ausgesetzt sind, nachhaltig zu beseitigen.

 

So haben, um nur eine Zahl zu nennen, die die Dramatik der Situation klar macht, 40% der Frauen in Deutschland seit ihrem 16. Lebensjahr körperliche und/oder sexuelle Gewalt erlebt.

 

Wurden die Damen, die zum Reden gekommen waren, angehört?

Nein!

Mein Antrag, die Sitzung zu unterbrechen und ihnen die Gelegenheit zu verschaffen, für etwas mehr Licht in manchem Dunkel zu sorgen, wurde von der eben bezeichneten Mehrheit mit 8:8 Stimmen abgelehnt.

Wahrhaft gelebte Demokratie von CDU und FDP!

Der Vertreter der FDP suchte, während wir anderen noch um irgendeine Verständigung rangen, auf seinem Smartphone im Internet nach Angeboten für Frauen hier im Kreis -

und wurde fündig - leider nur an den falschen Stellen.

So gänzlich bar jeder Kenntnis des Beratungsgegenstands und leider auch ohne jeden Willen sich solche zu verschaffen, habe ich noch niemanden hier im Hause bei Ausschussberatungen erleben müssen.

Das war schlicht unter aller Kritik.

Wenn das die Art ist, meine Damen und Herren, wie hier manche glauben Politik machen zu können, müssen wir uns über den Zulauf bei den Populisten nicht weiter wundern. Er wird so zwangsläufig zunehmen.

Gewiss: Sie schaffen das.

Meine Fraktion wird sich bei der folgenden Abstimmung zum Kreishaushalt enthalten, was nur dem Zugeständnis wenigstens einer halben Stelle statt der benötigten ganzen Stelle mehr für die Frauenberatung geschuldet ist.

An dieser Stelle bedanke ich mich bei der Verwaltung für die stets gute Zusammenarbeit und all den Fraktionen und Kolleginnen wie Kollegen hier im Kreistag, die die Zusammenarbeit und den Gedankenaustausch mit uns gesucht haben.

Ihnen allen eine besinnliche Weihnachtszeit und einen guten Rutsch ins neue Jahr!