Rede zum Haushalt des Kreises Warendorf 2018

Stephan Schulte

Sehr geehrter Herr Landrat,

meine sehr verehrten Damen und Herren,

ein politisch ereignisreiches Jahr liegt hinter uns.

Die Landtags- und die Bundestagswahlen haben aus unserer Sicht ein sehr trauriges Ergebnis geliefert:

Der Rechtspopulismus und sogar völkisch-nationalistisches Gedankengut sind in den Nordrhein-Westfälischen Landtag und den Bundestag eingezogen.

Altenas Bürgermeister Andreas Hollstein wurde vor 18 Tagen Opfer einer Messerattacke.

Weil er mehr Flüchtlinge als zwingend vorgeschrieben in Altena aufgenommen hatte, war er schon länger ins Visier sogenannter "besorgter Bürger" geraten.

Wie konnte es so weit kommen?

Wir haben es gerade hier noch erleben dürfen  - nein  - müssen.

Eigentlich muss man sich nur eine einzige Rede von Herrn Blex anhören.

Wenn dann Herr Gauland die in Hamburg geborene Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Aydan Özoğuz in Anatolien "entsorgen" möchte, zeigt das nur zu deutlich, wes Geistes Kind dieser Mann ist.

Dieser Rassismus ist schlicht unerträglich.

Dass dann Herr Blex nur sehr kurz nach dieser Äußerung auch Armin Laschet "entsorgen" wollte und, meine Damen und Herren, ich gehe einmal davon aus, dass ein Gymnasiallehrer sich der genauen Bedeutung und Wirkung seiner Worte vollkommen bewusst ist, erscheint mir dann nachgerade unentschuldbar,  stellt das doch einen weiteren in einer langen, langen Reihe  widerlicher Tabubrüche dar.   

Und genau so  wird ein Klima erzeugt und perpetuiert, in dem Taten wie der Angriff auf Andreas Hollstein erst möglich werden.

 

Wieder ins Kreishaus.

In der Sitzung des Sozialausschusses am 09. März dieses Jahres meinte Herr Hövelmann und das ist dann sicherlich schon weit weniger spektakulär als das eben Gesagte aber gewiss auch bezeichnend, die Anfrage der SPD zum Arbeitsmarkt- und Integrationsprogramm für das JC Kreis Warendorf sei Geldverschwendung.

Ich war bass erstaunt über die implizierte Geringschätzung kommunaler Ehrenamtspolitik durch einen eben ehrenamtlichen Politiker, denn was sonst könnte gemeint sein. Tatsächlich hatte die Beantwortung der Anfrage laut Dr. Börger einen Mitarbeiter des Kreises gerade einmal ca. acht Stunden beschäftigt.

Was aber genau nun muss aus dieser Kritik, die von der CDU bis heute nicht zurückgenommen wurde, gefolgert werden?  

Herr Gutsche, sie haben eben hier von Selbstbestimmung gesprochen.

Sollen wir hier in NRW zur Kostenvermeidung ehrenamtliche Politik besser gleich ganz einstellen? Vielleicht stellt der CDU-Kreisverband Warendorf einen Antrag mit dieser Intention an seinen nächsten Landesparteitag.

Dann hätten wir Klarheit, wie die CDU in dieser Sache hier im Lande tatsächlich denkt.

Dann hieß es im WDR:

"NRW schafft das Sozialticket ab."  Das war wie ein Schock.

Wie wir inzwischen wissen, hat der massive Protest aus den verschiedensten Ecken unserer Gesellschaft Früchte getragen und ein Umdenken in Düsseldorf ausgelöst.

Zumindest für 2018 ist der Landeszuschuss von insgesamt 40 Millionen Euro wohl gesichert. Aber wie schon bei der rot-grünen Vorgängerregierung üblich, wird nur Stückwerk für je ein Haushaltsjahr ganz nach aktueller Kassenlage betrieben.

Nachhaltige, verlässliche Politik sieht anders aus, denn für die darauf folgenden ist alles offen.

Zum Ausschuss für Wirtschaft, Umwelt und Planung vom 24. November hatten SPD und Grüne gemeinsam den Antrag gestellt, der Kreis möge sich bei der Landesregierung um die Weiterförderung des Sozialtickets bemühen.

Mich hat das Abstimmungsergebnis aber auch die Diskussion dazu im Ausschuss sehr, sehr ernüchtert.

Und das obwohl uns die Stadt Hamm und ihr CDU-Oberbürgermeister schon tags zuvor vorgemacht hatten wie es auch gehen kann:

"In meinen Augen ist das kontraproduktiv und genau der falsche Ansatz. Wir wollen doch, dass alle Menschen aktiv am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, und da leisten die vergünstigten Tarife im öffentlichen Nahverkehr ihren Teil".

So Hunsteger-Petermann.

Die Landratsmehrheit im Kreis Warendorf will unser Geld ganz offensichtlich lieber für ein sehr altes Buch mit den vier Evangelien und seine besonders hübsche Präsentation verwenden, als Menschen mit wenig Geld etwas mehr Mobilität zu ermöglichen.

Um was handelt es sich beim Liesborner Evangeliar?

Doch nur um ein zugegebenermaßen sehr gut erhaltenes Zeugnis - oder besser eine Quelle - eines sehr kleinen Ausschnitts unserer Geschichte und um einen noch viel kleineren Aspekt unserer Kultur.

 

Wir hätten sehr gern über den Begriff von Kultur und deren Förderung hier im Kreis offen diskutiert.

Das war so nicht gewünscht.

Schade!!!

 

Doch nun zu einem ganz anderen Thema:

 

Jeffrey Preston Bezos,  Gründer und Chef von Amazon und bei den aktuellen Börsenwerten wohl reichster Mensch der Welt, möchte ein Logistikzentrum hier bei uns im Kreis errichten.

 

Im Oelder Gewerbegebiet Aurea sollen bis zu - was immer das bedeutet - 2.000 Arbeitsplätze entstehen. Das klingt zunächst wirklich gut, aber wenn man genauer hinschaut, wie diese Unternehmung mit ihren Mitarbeitern aber auch den anderen Anbietern auf ihrer Plattform  umgeht, erkennt man sehr schnell, dass der ganze Glanz nicht einmal von Blech herrührt.

 

Im Managermagazin konnten sie am 17.08.2015 folgenden Satz lesen:

"Jeff Bezos scheint an der Qualität der von ihm geprägten Arbeitswelt scheinbar selbst zu zweifeln."

Das Managermagazin - allgemein als linkes Kampfblatt bekannt - berichtete von einem über mehr als sechs Monate lang recherchierten Artikel, der am 14.08.2015 in der New York Times erschienen war und zitiert:

"Amazon ist ein brutales Haifischbecken, bei dem jeder bis zur Selbstaufgabe arbeiten muss. " Das wäre die Kurzfassung dieses langen Artikels, der damals ein breites Echo hervorrief. Die renommierte US-Zeitung hatte eigenen Angaben zufolge mit mehr als 100 ehemaligen und derzeitigen Amazon-Mitarbeitern gesprochen. Mehr als ein halbes Jahr hätten die Autoren an der Geschichte recherchiert. Auch das Top-Management, allen voran Amazon-Chef Jeff Bezos, hätten Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt. Allerdings reagierte Bezos nun erst nach der Veröffentlichung des Artikels, der erschreckende Details aus dem Büroalltag des weltgrößten Onlinehändlers liefert.

Die Geschichte "Inside Amazon's thrilling, bruising workplace"

beschreibt einen Arbeitgeber, bei dem Mitarbeiter datenorientiert bis zur Selbstaufgabe arbeiten müssen - und das alles für die Zufriedenheit der Kunden.

Selbst im Urlaub würden Mitarbeiter zur Performance getrieben. Wer weniger als 100 Prozent gebe, könne auch über bestimmte Informationstools von anderen Mitarbeitern angeschwärzt werden.

Es gebe kaum jemanden, der aus einem Meeting nicht schon einmal weinend heraus gerannt wäre. Für Mitarbeiter, die in Familien schwere Erkrankungen hätten oder gar selbst krank wären, gäbe es kein Verständnis und keine Nachsicht. Frauen mit Kinderwunsch beziehungsweise Kindern hätten keine Aufstiegschancen. Manchen würde sogar ein anderer Arbeitgeber empfohlen."

Und ehe ich ihnen  irgendetwas unterschlage: Bei der Verleihung des Marion Gräfin Dönhoff Preises vor heute genau 12 Tagen

an eben diese Zeitung,

würdigte Bundespräsident Frank Walter Steinmeier sie als globale Autorität und wörtlich:

"Leuchtturm der Vernunft in einem Zeitalter grassierender Unvernunft".

 

Es sind bei Amazon nicht nur die Mitarbeiter, die - ja, ich kann es kaum anders sagen, beinahe wie Dreck behandelt werden. Auch den rund 64.000 Händlern auf dem "amazon- marketplace" ergeht es zum Teil kaum besser.

 

Wir in der Linken sind der festen Überzeugung, ein solches Unternehmen braucht weder der Kreis an sich, noch brauchen es die Menschen hier.

 

Auch die neuesten Veröffentlichungen der Recherchen des NDR vom 12. Dezember zeigen klar, wie das System Amazon funktioniert:

In ihrem Logistikzentrum in Winsen an der Luhe werden die Mitarbeiter - und das stellt einen klaren Verstoß gegen Arbeitnehmerrechte dar -

beinahe lückenlos via Computer und Videoüberwachung kontrolliert.

Das ist in unseren Augen einfach unmenschlich und ein Verstoß gegen das Bundesdatenschutzgesetz sowie eine Verletzung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung.

Wie mir Frau Martens vom Ver.di-Landesverband NRW noch am 30. November versicherte, gibt es bei Amazon bis dato keinen ordentlichen Tarifvertrag.

Amazon weigert sich beharrlich dem Tarifvertrag im Einzelhandel beizutreten, wie es auch dem Arbeitgeberverband nicht beitritt.  Amazon behauptet lediglich, sich am Tarifvertrag des Logistikgewerbes zu orientieren.

Wenn sie Frau Klausmeier, zumindest schreibt das die Glocke so, im Finanzausschuss meinten, vielleicht sei das Gehalt nicht kostendeckend aber doch eine Perspektive, verstehe ich das nicht ganz.  Wie die SPD im Kreis Warendorf der Einrichtung einer speziellen Stelle beim Jobcenter für Amazon zustimmen konnte ist mir schleierhaft.

 

Die einzige Perspektive, die ich für die Betroffenen sehe, ist die sichere spätere Altersarmut.

Eine "große Chance", wie sie, Herr Landrat, dieses Projekt in ihrer Haushaltsrede nannten, kann ich darin beim besten Willen nicht erkennen.

Aber handeln nur amerikanische Unternehmen so?

Nein, meine Damen und Herren, die Soziale Marktwirtschaft, wie sie dereinst von Alfred Müller-Armack und anderen erdacht worden war und noch 1990 im Staatsvertrag zwischen der Bundesrepublik und der DDR als gemeinsame Wirtschaftsordnung vereinbart wurde, gibt es in praxi längst nicht mehr.

Als Josef Ackermann, der drei Jahre später auf dem Chefsessel der Deutschen Bank Platz nahm, eine Eigenkapitalrendite von 25 %  zum neuen Ziel erklärte, waren die Reaktionen zunächst teils heftig ablehnend.

Heute sind solche Vorstellungen auch hierzulande längst gang und gäbe.

Denn wie auch sonst ließe sich die Forderung nach einem Abbau von beinahe 7.000 Stellen in einem Unternehmen rechtfertigen, das im abgelaufenen Jahr nach eigenem Bekunden mit eben diesen Mitarbeitern das beste operative Ergebnis seiner Geschichte zustande gebracht hat?

Bei Siemens geht das - meint zumindest der Vorstandsvorsitzende Joe Kaeser.

Das Satiremagazin Extra 3 nannte das dann auch folgerichtig asoziale Marktwirtschaft.

Ist unsere Wirtschaftsordnung also wirklich an einem Punkt angekommen, an dem nur noch der maximale Profit zählt und der Mensch nichts mehr?

Tatsächlich - und sie können das im Faktencheck der ARD zur Sendung Hart aber Fair vom 08. Mai dieses Jahres nachlesen -

ist der vielgepriesene Aufschwung an 40 %  der Menschen in unserem Land komplett vorbei gegangen.

Wie Heiner Geißler wohl sagen würde:

Das Geld, das also erneut wie Heu entstanden ist, ist nur wieder in die falschen Taschen gewandert.

 

Und nun noch zu unserem: Ceterum censeo

Unser Ceterum censeo - und ein solches scheint es zu unserem Bedauern wohl werden zu müssen - bezieht sich auf den offenbar nicht nachlassenden Drang nach weiterem Schuldenabbau,  der und das müsste auch hier im Haus inzwischen jeder mitbekommen haben und auch selbst nachvollziehen können -  in der andauernden Niedrigzinsphase in Wirklichkeit nichts anderes ist als bewusste Geldverbrennung.

Frau Decreßin - Kalscheuer von der DZ-Bank hat uns das im Finanzausschuss vom 10.03. dieses Jahres klar ins Stammbuch geschrieben.

Wir, DIE LINKE im Kreistag Warendorf, sagen dementsprechend nein zu diesem Haushaltsentwurf.

Ich möchte mich natürlich auch in diesem Jahr selbstverständlich auch im Namen von Frau Riveiro - Vega bei all denjenigen -

vor allem in der Verwaltung - bedanken, die Lust hatten und sich die Zeit genommen haben, sich mit uns auszutauschen oder uns schlicht auf die Sprünge zu helfen.

Zum Schluss: Halten wir es doch mit Kant und haben wir den Mut, uns unseres eigenen Verstandes zu bedienen.

Ihnen allen hier und im ganzen Kreis wünsche ich eine friedvolle und besinnliche Weihnachtszeit.